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Das Jahr 1920

Kapp-Putsch, Antisemitismus und Faschismus – rechte Bedrohungen der Demokratie


Von Putschisten besetzter Potsdamer Bahnhof (Kapp- Putsch)

Noch sind im Deutschen Reich die Spuren der Novemberrevolution 1918 zu frisch, noch die Auswirkungen des Weltkriegs zu offensichtlich, um 1920 als eines der »normalen« Jahre in der nur kurzen historischen Epoche der Weimarer Republik zu charakterisieren. Welchen Monat man auch betrachtet: Alle Bereiche des Lebens – von der Politik bis zum Sport – sind mehr oder weniger direkt von den Folgen des weltweiten Blutvergießens und der anschließenden politischen Umwälzungen geprägt.

Der kurz nach Jahresbeginn in Kraft tretende Versailler Vertrag und die Konferenz von Spa belegen nachdrücklich, wie sehr das Deutsche Reich unter der militärischen Niederlage in dem von ihm mitverursachten Krieg zu leiden hat. Zugleich wird das überaus geringe Interesse wichtiger gesellschaftlicher Gruppen an der jungen deutschen Demokratie deutlich. Der sog. Kapp-Putsch zeigt die bedrohliche Bereitschaft rechter Kreise, die Republik zu beseitigen. Unterstützung finden sie in Teilen der Reichswehr, vor allem aber in den z. T. illegal operierenden Freikorps und Einwohnerwehren. Daneben werden Antisemitismus und erste Aktivitäten der Nationalsozialisten sichtbar – dokumentiert u. a. im 25-Punkte-Programm der NSDAP (bis März: DAP). In Italien wird der Faschismus in der zweiten Jahreshälfte bereits zu einem bedrohlichen Machtfaktor, als die Gefolgschaft des späteren Diktators Benito Mussolini mit Terroraktionen gegen Repräsentanten und Einrichtungen der Linken beginnt.

Auf der anderen Seite: Hungerrevolten und linke Aufstände


Parteien der Revolutionsjahre, Novemberrevolution. Grafik

Einer der Gründe für die rechtsextremistischen Tendenzen ist in beiden Staaten die desolate wirtschaftliche Situation. Neben der deutschen und italienischen leidet auch die Bevölkerung in Österreich – einem der Reststaaten der ehemaligen Donaumonarchie – unter einer schwerwiegenden Versorgungskrise. Die katastrophale Ernährungslage im mitteleuropäischen Raum führt vielfach zu Protesten, die häufig in Hungerrevolten gipfeln. Arbeiterbewegung und linke Parteien kämpfen im Deutschen Reich mehr oder weniger engagiert für eine Umgestaltung der Gesellschaft im Sinne der Novemberrevolution von 1918. Schon im Januar kommt es anlässlich einer Demonstration gegen das Betriebsrätegesetz zu heftigen Auseinandersetzungen mit Staat und Regierung.

Den Höhepunkt der Konfrontation linker Parteien und Gruppen mit der parlamentarischen Demokratie bilden jedoch die Ereignisse im Zusammenhang mit dem Kapp-Putsch. Während der Staatsstreich »von rechts« durch einen Generalstreik vereitelt werden kann, kommt es zu revolutionären Aufständen »von links« in Mitteldeutschland und vor allem im Ruhrgebiet. Hier wird der Siegeszug der Roten Ruhrarmee erst durch den militärischen Einsatz von Reichswehr und Freikorps beendet. Bei alledem wird die zwiespältige Rolle der Mehrheitssozialdemokratie (MSPD) deutlich: Einerseits ist die MSPD führende Repräsentantin einer Koalitionsregierung mit bürgerlichen Parteien, andererseits bleibt sie – wenigstens theoretisch – den Zielen einer großenteils antikapitalistisch eingestellten Arbeiterschaft verpflichtet. Schließlich scheidet die MSPD nach deutlichen Stimmenverlusten bei den ersten Reichstagswahlen der Weimarer Republik im Juni aus der Regierung aus. Zugleich wandert eine wachsende Zahl von Arbeitern ab ins Lager der radikaleren Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) oder der erst 1918/19 entstandenen Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD).

Europas Kommunisten unterstellen sich den siegreichen Moskauer Genossen

Die Spaltung des »linken Lagers« in sozialistische und kommunistische Parteien vollzieht sich auch in anderen Staaten wie Frankreich und Großbritannien. Die kommunistische Bewegung wird dabei einer straffen, zentralistischen Lenkung durch die russische KP unterworfen. Dies ist insbesondere seit Sommer 1920 der Fall, als KP-Chef Wladimir I. Lenin auf dem zweiten Kongress der Kommunistischen Internationale (Komintern) in Moskau mit den »21 Punkten« strenge Aufnahmebedingungen durchsetzt. Immerhin kann sich Lenin auf die Faszination stützen, die von einer erfolgreichen Revolution ausgeht. Die Vertreibung weißgardistischer Truppen aus Russland im November bedeutet den endgültigen Sieg der Bolschewisten über die antirevolutionären Kräfte. Auch gegenüber den Bedrohungen von außen ist die Rote Armee erfolgreich: In Abwehr eines vom polnischen Staatschef Józef Klemens Pilsudski im April begonnenen Eroberungskrieges gegen Sowjetrussland geht sie bereits Mitte des Jahres zur Offensive über.

US-Republikaner profitieren vom Völkerbund auf ihre Art

Trotz aller Kriege und Krisen ist weltweit auch eine Sehnsucht nach Frieden spürbar. Große Erwartungen werden in den Völkerbund gesetzt, der Mitte November in Genf als übernationale Organisation zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentritt.

Die Gründung des Völkerbunds geht u. a. auf das Engagement des US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson zurück, der damit allerdings in seinem eigenen Land auf zunehmenden Widerstand stößt. Die Abneigung vieler US-Amerikaner gegen feste außenpolitische Verpflichtungen in anderen Teilen der Welt führt bei den Präsidentschaftswahlen Anfang November in Washington zu einer Wachablösung: Mit dem erdrutschartigen Sieg von Warren G. Harding beginnt eine zwölfjährige Herrschaft der Republikaner in den USA und damit die Phase ihres sog. Isolationismus.

In Großbritannien eskaliert nach Einbringung des Irland-Gesetzes in das Londoner Parlament der Kampf um die Unabhängigkeit Irlands. Dabei setzt die britische Regierung u. a. die wegen ihrer brutalen Methoden berüchtigte Polizeispezialeinheit »black and tans« gegen die irische Unabhängigkeitsbewegung ein, die nicht nur mit militanten Aktionen, sondern auch mit Formen zivilen Ungehorsams und Hungerstreiks für ein freies Irland kämpft.

Eine schillernde Kultur erhebt sich aus den Weltkriegstrümmern


1920 / Antwerpen, Belgien Olympische Spiele: Aufstellung einiger teilnehmender Länder bei der Eröffnungsfeier.

Die gesellschaftlichen Umwälzungen lassen in Europa eine schillernde Kulturlandschaft entstehen. Während die Dadaistenbewegung ihren Höhepunkt trotz der spektakulären Berliner Dada-Messe im Juni 1920 überschritten hat, breiten sich avantgardistische Ausdrucksformen aus, die vor allem im Zuge der russischen Revolution entstanden sind. Dabei zeichnet sich im russischen Konstruktivismus eine schöpferische Synthese zwischen Kunst, Politik, Gesellschaft und industrieller Technik ab. Charakteristischer Höhepunkt dieser Kunstrichtung ist Wladimir J. Tatlins berühmter, aber nie ausgeführter Entwurf für einen Turm als Monument der Kommunistischen Internationalen. Neue kulturelle Bewegungen und Ausdrucksformen wie Proletkult und Agitprop beeinflussen, von Russland ausgehend, die Kreativität westlicher Künstler.

Auch im Sport spiegelt sich der Wandel, der sich in den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen vieler Länder vollzieht: Das Deutsche Reich bleibt nach dem Weltkrieg vom internationalen Sportverkehr in der Regel ausgeschlossen. So finden denn auch die VII. Olympischen Spiele im belgischen Antwerpen ohne deutsche Beteiligung statt.

Noch bleibt die Menschheit bei der Information über Ereignisse aus den Bereichen Sport und Kultur, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft weltweit auf die Presse angewiesen. Im November 1920 aber feiert ein Medium Premiere, das die Informationsvermittlung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten radikal verändern wird: Ein US-amerikanischer Sender beginnt mit der Ausstrahlung des ersten regelmäßigen Rundfunkprogramms der Welt.

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Arbeit und Soziales 1920:

Staatliche Sozialpolitik löst das Arbeitslosenproblem nicht

Architektur 1920:

Symmetrie neben Fantasieformen

Auto 1920:

Vorkriegsmodelle noch aktuell

Roller mit Zukunft

Kleine Ratschläge für den Kraftfahrer

Bildungswesen 1920:

Streit um Bekenntnisschule

Sowjetregierung will verbreitetes Analphabetentum überwinden

Gründungswelle bei reformpädagogischen Landschulen

Essen und Trinken 1920:

Deutsche müssen auch im zweiten Nachkriegsjahr hungern

Lebensmittelhilfe durch US-Quäker

Mode 1920:

Mode mit Theatralik und glitzernder Eleganz

Breite Betonung der Hüfte

Glitzernde Eleganz beim Tanz

Reiche Damen mit Poiret-Kleidern

Sakkos mit hoher Taille

Bubikopf setzt Siegeszug fort

»No. 5« wird kreiert

Verkehr 1920:

Luftlinienverkehr erlebt Aufschwung

Motorisierungstendenz in Stadt und Land

Urlaub und Freizeit 1920:

Ferienspiele und Vergnügungsparks bieten Urlaubsersatz

Wanderhütten für billigen Urlaub

Erstes Welttreffen von Pfadfindern

Werbung 1920:

Auch Einflüsse aus den USA wirksam

Konsumanreiz durch psychologische Methoden

Wissenschaft und Technik 1920:

Erste Schiffe mit Echolot

Fernsprechstellen nehmen weiter zu

Höhenflugmotor wird eingesetzt

Wohnen und Design 1920:

Durch nackte Not Ansätze zu demokratischer Alltagskultur

Bürgertum frönt Modewohnkultur

»Stijl«-Gruppe will elementare Gestaltung